Stress,
Trauma und der Körper
Lange Zeit wurden Stress und Trauma in Therapie und Coaching als
ein rein psychisches Problem betrachtet und behandelt. Dabei kann
es kein emotionales Erleben ohne korrelierende Veränderungen
in der (Neuro-)Physiologie des Menschen geben. Emotion ist "E-nergy
in motion", ist Energie, die sich durch den Körper bewegt
(oder irgendwo gestaut ist und deswegen nicht voll gefühlt
und zum Ausdruck gebracht werden kann). In dem folgenden kleinen
Video erklärt der renommierte Trauma-Experte Peter Levine,
der Vater eines anderen körperorientierten Ansatzes namens
Somatic Experiencing, den Einfluss von Trauma auf das System des
Körpers:
In unserer westlichen Kultur werden wir in dem Gedanken großgezogen,
dass wir ein "Ego in einem Sack aus Haut" seien, wie
es der britische Philosoph Alan Watts es so treffend formulierte:
Wir begreifen uns als kleine Männlein bzw. Frauen, die irgendwo
in der Schaltzentrale, unserem Schädel, sitzen und von unserem
Körper in der Weltgeschichte spazieren getragen werden.
Doch
übernehmen wir für einen kurzen Augenblick einmal Peter
Levines Standpunkt: Wir haben keinen Körper, wir sind unsere
Körper, und dieser Körper ist ein hochkomplexes energetisches
System: Wir nehmen Nahrung, Wasser und Sauerstoff auf, die verstoffwechselt,
in Energie und Zellen umgewandelt werden, der verbrauchte Sauerstoff
und die verdaute Nahrung werden wieder ausgeschieden. Wir sind,
ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, wandelnde Kraftwerke
auf zwei Beinen.
Peter
Levine vergleicht in dem Filmausschnitt oben das energetische
System unseres Körpers mit einem Slinky: Auf unserem normalen
Level schwingen wir auf einem gleichmäßigen energetischen
Niveau, Atmung und Blutdruck sind normal. Wenn wir jedoch unter
einer Belastung stehen, etwa eine wichtige Verabredung einhalten
müssen oder Sport im Fitness-Studio machen, erhöht sich
der Ausschlag, wird unregelmäßiger, die Atemfrequenz
steigt, Neurotransmitter wie Adrenalin werden vermehrt ins Blut
ausgeschüttet, unser Energiepegel erhöht sich, wir sind
wacher etc.
Im
Falle von Trauma ist das energetische Niveau im Körper so
hoch, dass der Körper "zumacht", um das Individuum
vor einer Überflutung mit Erregung zu beschützen. Trauma
soll hier verstanden werden als jede Art von Erregung, die unsere
normalen Bewältigungsstragien und Bewältigungsmechnismus
überwältigt. Die Erregungsenergie wird dann unterdrückt
und in chronische physische Spannung umgewandelt. Das Fatale ist,
dass die so gestaute Energie nicht abgebaut wird, sie verbleibt
im System. Das Nervensystem verbleibt in einem alarmierten Zustand,
auch der Muskeltonus verbleibt, als ob der Körper sich noch
in Gefahr befände. Ein Muskel, der im Grunde genommen eigentlich
aus zwei großen Muskeln besteht, ist hiervon besonders betroffen:
Der Psoas.
Der Psoas füllt die Beckenschaufel aus und verbindet Oberschenkel
und Hüftgelenk mit der Wirbelsäule des unteren Rückens.
Da er den Unter- mit dem Oberkörper verbindet, ist er auf
das Engste mit dem Fight or Flight-Reaktionsschema des Menschen
in Gefahrensituationen verbunden, nämlich wenn wir auf der
Flucht vor einem Angreifer weglaufen oder uns zum Angriff auf
ihn zubewegen wollen. Zudem spielt der Psoas eine wichtige Rolle
beim Beugen der Wirbelsäule, was ein weiterer natürlicher
Schutzmechanismus ist: Da der Bauchraum offen und ungeschützt
ist, kauern wir uns in Gefahrensituationen zusammen, wodurch diese
empfindliche Region besser geschützt wird. Rückenschmerzen
im Bereich der unteren Wirbelsäule sind häufig das Ergebnis
eines angespannten Psoas, bereits eine oder wenige Sitzungen mit
den Spannungsabbau-Übungen können zu einem völligen
Rückgang der Symptomatik führen.
Dr.
David Berceli, der Erfinder der Spannungsabbau-Übungen (engl.:
Trauma & Tension Releasing Exercises, TRE) beobachtete während
seiner humanitären Arbeit im Nahen Osten Ende der 1970er,
Anfang der 1980er Jahre, dass die Körper seiner Kollegen
aus den internationalen humanitären Hilfsorganisationen alle
in exakt der gleichen Weise reagierten, wenn etwa ein Bombenangriff
in vollem Gange war. Hierdurch erkannte er zum Einen die große
Bedeutung des Körpers bei der Entstehung von Trauma und wurde
sich zum Anderen im Laufe seiner Forschung der besonderen Bedeutung
des Psoas' bewusst. Außerdem er erkannte den Vorteil eines
rein körperorientierten Ansatzes beim Umgang mit Stress und
Trauma, da wir Menschen unabhängig von unserer Herkunft über
denselben Körper verfügen. Körperarbeit bietet
den Vorteil, dass sie völlig kultur- und prägungsunabhängig
mit jedermann durchführbar ist und dass im Gegensatz zu anderen
Ansätzen ein Durcharbeiten und Wiedererinnern emotional aufgeladener
Situationen nicht notwendig ist und auch nicht angestrebt wird.
(Ganz im Gegensatz zum Beispiel zu Peter Levines Somatic Experiencing!)
Durch
das nach der Durchführen der Spannungsabbau-Übungen
einsetzende neurogene Zittern der Muskulatur werden die gespeicherte
Erregungsenergie und die im Muskel gespeicherten Emotionen schrittweise
abgebaut. Dies wird immer so dosiert, wie es für den Anwender
gut integrierbar ist. Der Klient lernt, wie er in einer für
ihn verträglichen Weise seinen Körper (und somit seinen
Geist) dazu bringen kann, wieder ins Gleichgewicht zu kommen.
Viele
Methoden, darunter auch NLP, lehren, dass positives Denken gegen
negative Gedankenmuster helfe. Doch diese sind häufig das
Ergebnis von Post-Stress/Post-Trauma und der im Körper verbliebenen
negativen Ladung. Ist erst einmal genügend Spannung abgebaut,
organisieren sich die Gedankenmuster häufig ganz wie von
selbst neu. Doch umgekehrt können negative Gedankenmuster,
ein schlechtes Selbstbild usw. jedoch auch dazu führen, dass
ständig wieder neue Spannung im Körper erzeugt wird.
Daher halte ich es für dringend angezeigt, in Coaching-Prozessen
sowohl auf der Ebene des Körpers als auch auf der mentalen
Ebene zu arbeiten.
Wenn
schließlich genügend Spannung abgebaut ist, kommt es
mitunter vor, dass Klienten sich an eine bestimmte verdrängte
Situation erinnern. Allerdings ist durch die Durchführung
der Spannungsabbau-Übungen die damit verbundene emotionale
Ladung bereits abgebaut. In dem Moment, wo die Erinnerung an die
auslösende Situation emotional gegen 0 tendiert, kann das
Unbewusste die verdrängte Erinnerung wieder freigeben, der
Knoten im System ist gelöst und das verdrängte Ereignis
wird vollständig integriert.
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